Die Dame in Schwarz und das Radfahren
- Wilhelm Heim
- 25. Juni
- 3 Min. Lesezeit

In den letzten Wochen habe ich wieder einmal nicht gut für mich gesorgt. Die Arbeitsbelastung in der Schule, die Arbeit in der Hundepension, die alten inneren Zwänge immer effizienter werden zu wollen etc. haben mich sorglos werden lassen, ich habe einfach andere Dinge als wichtiger erachtet als mich selbst. Das ist für einen Depressionspatienten nicht sinnvoll, denn schnell kommen - wie ich oben schon erwähnt habe - die alten Gedanken- und Gefühlsmuster wieder - schön eingebettet in eine Gefühlstaubheit, die das effektive Funktionieren im Alltag ermöglicht. Bis ... bis ich eben keine Kraft mehr habe und die schwarze Dame (Metapher für die Depression) ganz heftig zunächst an die Tür klopft und in einem weiteren Schritt schon auf der Türschwelle steht.
In den letzten beiden Jahren habe ich feststellen müssen, dass auch ich kein Patentrezept habe, um aus einem beschissenen depressiven Loch herauskommen zu können. Ich weiß, dass Fotografieren und Lyrik eine kraftgebende Grundbasis bieten, um mich gut gegen Gefahren zu rüsten, aber nicht immer reicht das auch aus. Natürlich sind Bewegung und Sport ebenfalls eine gute Voraussetzung. Wenn es aber eben nicht gelingt, mich zu sportlichen Aktivitäten durchzuringen – weil der Geschirrspüler etc. wichtiger erscheinen ... das ist ja das Problem.
Ich benötige also immer wieder neue konkrete Lösungsstrategien. Diesmal hat mir ein Buch geholfen, das meine Frau mir vor ein paar Wochen geschenkt hat: "Die Philosophie des Radfahrens". In den letzten Jahren bin ich sicherlich mehr gelaufen als Rad gefahren - was mir als passionierter Rennradfahrer durchaus immer mal wieder Wehmut eingebracht hat. Aber das passte eben auch in das Denkmuster einer funktionalen Depression: Ich dachte nämlich, dass Radfahren viel zu viel Zeit in Anspruch nimmt (und mit einer effizienten Tagesplanung kaum zu vereinbaren ist). Also habe ich das Radfahren folglich unterlassen.
Die philosophische Ergründung des Radfahrens (in und mit diesem Buch) hatte mich dieser Tage sofort in ihren Bann gezogen und nach etwa 150km in den letzten Tagen auf dem Sattel kann ich mit Peter M. Hopsicker sagen: "(...) wie das Fahrrad uns noch weiter an das sinnliche Leben heranführen kann."
Ich bin also aus dem depressiven Loch herausgeradelt - mit Fanta, meinem 20 Jahren alten Rennrad. Die mich packende Faszination des Rennradfahrens (die ich bestimmt seit knapp 8 Jahren nicht mehr gefühlt habe) begann damit, dass ich vor zweieinhalb Wochen beschloss (nach den ersten Zeilen des Artikels darüber, dass der Drahtesel die letzte humane Technik sei), mit dem Rad zur Schule zu fahren - was ich auch zweimal getan habe. Inzwischen habe ich Fanta reaktiviert und dem Rad einen sündhaft teuren Gepäckträger spendiert. Ich versuche dieses Gefühl auf dem Rennrad einmal zu beschreiben:
auf dem weg nach laderholz
wie es ist auf der straße nach laderholz,
wenn ich bergrunter treten muss?
ganz ehrlich, es fühlt sich
an wie ein dauerhafter schuss.
wenn der wind
mit seiner fratze
dauerhaft von vorne grinst.
wenn die schlaglöcher
auf die felgen ballern,
wie im sturm ein fensterladen
an die hauswand knallt.
und trotzdem nicke ich ihm zu
begrüße ihn, den wind.
mampfe seine monströse
frische luft, eingetreten
in eine seltsame klarheit,
die selbst auf mullerigen wegen
weiterhin wohltuend wächst.
weiterfahren, weiterfahren.
überwältigt und ermutigt,
mich nicht mehr abzuwenden
von mir selbst.
Ich habe mir zum Ziel gesetzt, immer eine Stunde zu fahren (etwa 25km). Kaum war ich die ersten Kilometer auf der ersten Fahrt nach dieser langen Zeit in Richtung Neustadt gefahren, da kam das Gefühl für die Welt "von Zeit und Distanz, Herzschlägen und Muskelkraft, von Anstrengung und Erhebung, Geschwindigkeit und Wind"(Hopsicker) zurück. Dazu kaufte ich mir eine neue Lenkertasche für den Fotoapparat - und diese Kombination lässt mich gerade freudig aus dem depressiven Tief heraus taumeln.
Die Dame in Schwarz, die an meine Tür geklopft hat, habe ich übrigens inzwischen gefragt, was sie mir mitteilen möchte. Die Antwort lautete: Sorge gut für dich selbst!