Wie ich trotz Stromausfall, aber mit Bonnie Tyler über den Nienstedter Pass gekommen bin
- Wilhelm Heim
- vor 3 Tagen
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Ein Stromausfall ist nie angenehm. In dieser Woche hatten wir bei uns im Haus mehrere Stromausfälle, bei denen der Hauptschalter (FI) komplett rausflog und es keinen Strom gab. Der erste Übeltäter war schnell gefunden: Ein mit der Heckenschere versehentlich durchtrenntes Außenstromkabel, das durch den Regen Wasser gezogen hatte. Die weiteren Stromausfälle und das Rausspringen der Sicherung in einem Teilbereich des Hauses waren zunächst belanglos, da die entsprechende Sicherung wieder eingedrückt werden konnte.
Ein Stromausfall kommt immer zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Nämlich am Wochenende bzw. wenn man etwas vorhat.
Am heutigen Sonntagmorgen passierte dann das Unglück, die Sicherung flog heute Nacht raus und ich konnte sie nicht wieder reindrücken. Aber nicht nur, dass es Sonntag war, sondern dass ich heute morgen auch einen „Selbstfürsorgeausflug“ geplant hatte - während meine Frau zu Hause bleiben wollte. Der Plan war, heute nach Lauenau im Deister zu fahren und von dort aus endlich einmal wieder mit dem Rennrad ein paar „Hügel“ zu fahren. Meine Rennradbiografie begann im Werratal/Meißnervorland-Mittelgebirge und fand ihren Höhepunkt in und um die hügelige Landschaft um die Stadt Jena herum. In der Region Hannover bieten sich also außer um die Marienburg und den Deister kaum entsprechend Hügel zum Befahren mit dem Rennrad. Heute wollte ich also die 14km von Lauenau nach Egestorf (Barsinghausen) über den Nienstedter Pass hin- und zurückfahren. Und dann der Stromausfall. Im ersten Moment habe ich gedacht, dass ich zu Hause bleiben muss, um den Umstand dort zu beseitigen - schließlich müsste meine Frau ja sonst 4 Stunden ohne Strom in diesem Hausbereich auskommen. Wenn ich trotzdem fahren würde, dann stand mein altes Gedankenmuster schon am Start: Ich lasse meine Frau allein und damit im Stich. Um es kurz zu machen: Ich bin gefahren - ohne Schuldgefühl und bis ich wieder zu Hause war, dachte ich nicht ein einziges Mal an dieses Stromdefizit im Haus. Wenn ich es nicht rausfinden würde, dann müssten wir ja auch bis zum Handwerkerbesuch (wann auch immer der kommen sollte) ohne Strom auskommen. Sollte ich etwa neben Maren stehen und die Taschenlampe halten? Die Fische im Teich habe ich natürlich noch gerettet - es gibt Kabeltrommeln.
Sicherlich bin ich nicht mehr auf dem Höhepunkt meines Rennradfahrens, aber die Spitzkehren zum Nienstedter Pass, die Steigungen, das Treten bis zum Anschlag und nicht abzusteigen, beflügelte heute mein Raderlebnis. Und genauso beflügelte es mich, abzusteigen und in aller Ruhe ein Foto zu machen - ganz ohne Druck.
Es ist so ein geiles Gefühl die steile Kurve am Ortsausgang in Nienstedt einzufahren und sich vorzustellen: Da könnte jemand von mir ein Foto machen! Mann, ich sähe echt gut aus. Ich bin mit Fanta vor ein paar Jahren mit einem inzwischen unliebsamen ehemaligen Nachbarn mal hochgefahren, der immer mit etwas Geringschätzung auf Fanta und deren drei Kettenblätter geschaut hatte (ein richtiger Rennradfahrer habe natürlich nur zwei vordere Kettenblätter). Heute bin ich natürlich mit einem historischen Grinsen an der Stelle vorbeigefahren, wo der Nachbar damals leider absteigen musste, während ich mit Fanta weiterfahren konnte. Großzügig wie ich war, nahm ich ihn seinerzeit ins Schlepptau.
In einem Zug fuhr ich heute jedenfalls wieder bis Egestorf und zum Nienstedter Pass zurück, wo mich kurz vorher noch ein anderer Rennradfahrer überholte. Was nicht schlimm war, denn ich empfand heute beim Fahren eine große Genugtuung mit mir selbst, in dieser Woche habe ich nämlich trotz mehrfacher Stromausfälle (auch im metaphorischen Sinne) zum ersten Mal seit vielen Jahren das Gefühl erlebt, nicht falsch zu sein. Passend dazu trällerte Bonnie Tyler auf der letzten Steigung zum Nienstedter Pass: I‘m holding out for an hero! Ich kann auch trotz Depressionen Berge hochfahren. In diesem Sinne: Schönen Sonntag euch!