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Depression und Farbfotografie? Oder ein Blick in Fred Herzogs "Modern Color"

Landläufig mag man glauben, dass nur Schwarzweißfotografien das Medium der Depression sein können. Schwarzweißfotografie könne die Gefühle von Depression intensiver widerspiegeln als Farbfotografie. Die Abwesenheit von Farbe verstärke Emotionen wie Traurigkeit und Isolation. Kontraste zwischen Licht und Schatten symbolisierten innere Kämpfe, während die reduzierten visuellen Elemente die Einsamkeit betonen. Diese Form vermittle eine tiefere Verbindung zu melancholischen Stimmungen. Auch wenn ich gerade ein Schwarzweißprojekt durchführe, finde ich mitnichten, dass depressive Gefühle nur durch die Farbreduktion dargestellt werden können. Glücklicherweise bin ich aber gerade in der Lage, nicht mit meiner Depression sprechen zu müssen. Aus diesem Grund habe ich mich gerade einem unglaublich spannendem Fotobuch gewidmet. Anlass war das Community-Projekt von Benedikt Brecht, der seine Podcasthörer dazu eingeladen hatte, das Buch "Modern Color" von Fred Herzog "gemeinsam" zu lesen und ihre Eindrücke zu schildern.

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Ich selbst hatte dieses Fotobuch vor längerer Zeit bei Amazon entdeckt und mir gekauft. Leider war es nach kurzem Durchblättern trotz einem faszinierten Eindruck recht schnell im Regal gelandet.

Mich hat allein schon das Titelbild (Man Barber Shop) sehr angezogen. Die mäandernde Mischung aus Schwarzweißfotografie (im Bild links mit den an der Wand aufgehängten Männerportraits mit Beispielfrisuren) und rechts das Schaufenster prägende Rot mit einem vorbeigehenden Mann. Die Farbe Rot - eigentliche eine Warnfarbe - zieht sich durch fast alle Fotografien (selbst der Inneneinband ist aus rotem Papier) - eher versöhnlich und warm.

Das zweite Bild, das mich einnimmt, ist auch das zweite im Buch (Seite 2): Ein Selbstportrait Herzogs, das ihn am Schreibtisch eingetaucht in warmes Licht zeigt. Die Blickrichtung nach links - ebenso wie das Augenpaar eines Kopfportraits, das über ihm an der Tapetenwand hängt.

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Auf meiner Wanderung durch das Buch lande ich auf Seite 39 an einer Bushaltestelle, Herzog muss recht nach bei den Personen gewesen sein, ich stelle mir die Frage nach der Brennweite. Auffallend wieder der rote Briefkasten, der eine Diagonale mit dem Blut am Kinn des Mannes im Vordergrund bildet: Ein rauchender Mann, versehen mit weißem T-Shirt und weißen Verbänden, steht vor einer alten Dame, die weiße Handschuhe in der Hand hält und einen weißlichen Hut trägt. Die Straßen eher leer, das Bild strahlt für mich eine morgendliche Ruhe vor der großen Hektik aus.

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Herzog nimmt in unterschiedlichen Fotografien das Rauchen wieder auf, so auch auf Seite 57, wo der Zuschauer auf den Hinterkopf einer rauchenden Dame schaut, die sehr stilvoll mit weißen Lederhandschuhen ihre Zigarette trägt.

Auf Seite 62 wird dann auch weitergeraucht: Ein wartender Mann - abends vor einem Theater oder Kino. Er wartet und beobachtet den Eingang und den Bürgersteig, die Zigarette in ein Mundstück aus Kunststoff gesteckt. Ein Ausdruck der 60er Jahre.

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Es gibt viele dieser sehr spannenden Straßen- und Personenaufnahmen, die jede für sich eine kleine Geschichte erzählen.

Jedoch ist das Buch auch überfrachtet mit Farbaufnahmen, die teils doppelt, keine zusätzlichen Mehrwert bringen.

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Auf Seite 204 sind zwei Aufnahmen abgedruckt, die einen Schilderwald darstellen, ebenso auf den Seiten 166 und 167. Hier sogar die gleiche Szene (erkennbar an der Cafeschrift), nur um ein Jahr verzögert. Nichts scheint sich verändert zu haben.

Drei weitere Fotografien möchte ich noch herausheben: Seite 174. Eine Fotografie zum Einfühlen, Herzog steht wie häufig vor einem Cafefenster, eine rote Bank vor ihm, im Cafe eine Dame mit Sonnenbrille und rotem Mantel. So als könnte ich dort auch stehen - ich würde allerdings versuchen, der Dame ein Lächeln abzuringen.

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Der vorletzte Stopp für die Buchrenzension bringt mich auf Seite 265: Eine großartige Szene, die eigentlich still steht, aber durch die lange Verschlusszeit und die damit verbundene Unschärfe des fahrenden Wagens und der zwei sich entgegenlaufenden Männer eine leichte Dynamik erhält.


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Die Zielgerade bringt mich auf Seite 247. Zwei Männer, die rauchend vor einem Schaufenster warten (Coffee and Donuts). Der Kaffee kostete damals nur 5ct - was für ein Preis. Obwohl der Blick eines der wartenden Mäner zwar in die Richtung des Fotografen geht, wirkt der Blick mürrisch und abgegrenzt - und lädt mich doch eher ein hinzuschauen. Der Mann hat etwas Mafiöses an sich.

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Dieser Fotoband hat recht wenig mit dem Thema Depression zu tun. Aber ich bin ehrlich: Die Farbfotos hätten mich in einer Phase der Depression nicht eingeladen, mich mit ihnen zu beschäftigen.


Lieber Ben, danke für die Einladung noch einmal mit dir in diesen Fotoband zu schauen ...

 
 
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