Während meines Aufenthalts in der Tagesklinik gab es immer, wenn neue Patienten eintrafen, Vorstellungsrunden. Ich erinnere mich noch an eine Runde, in der ich mich vorstellte: "Ich bin Wilhelm, habe eine Depression, weil ich keinen Zugang mehr zu meiner Gefühlswelt habe." Häufig ist es bei diesem Krankheitsbild so, dass sich für Depressive ALLES nur negativ anfühlt oder eine Gefühlsabstumpfung eingetreten ist.
Vor dem Gestaltungstherapieraum stieß ich in dieser Phase auf die sogenannte "Box der Emotionen". Diese Box habe ich mir gekauft.
Letzte Woche habe ich diese Box einmal verschenkt, was mir ein Anlass war, mir diese Box aktuell wieder vorzunehmen, um auf eine Entdeckungstour zu gehen und einige meiner Erlebnisse der letzten Zeit mit einem Gefühl zu belegen. Und zwar auch, um wieder einen besseren Zugang zu mir zu bekommen; wenn ich das nicht übe, besteht die Gefahr mich wieder selbst zu verlieren. Und das kam dabei heraus:
Box der Emotionen verschenkt - Neugier
Gedichte für ein Buchprojekt schreiben - Ekstase
Wochenende vor dem Schulanfang - Hoffnungslosigkeit, Angst
Nach dem ersten Schultag - Erleichterung
Treffen mit meiner Frau zum Kaffeetrinken in der Stadt - irrsinnige Freude
Arbeit an Fotios mit Bildbearbeitungsprogramm - Groll und Frust
Essen kochen - Ausgeglichenheit, Gelassenheit
Sex - Lust, Stärke, Genuss
neue Brille - Männlichkeit
Warten auf den Postboten - Ungeduld
erstes Treffen der Gestaltungstherapiegruppe - Aufregung, Ungeduld, Vorfreude, Angst, Flucht; aber auch Einsicht, Erkenntnis, Erleichterung, Wahrgenommenwerden
Konfliktmoderation - Mut, Stärke
brasilianische Zigarre im Garten rauchen - Freundschaft
einen Porsche an der Tankstelle entdeckt - meinen Mann stehen
juristische Gedanken zu meiner Mutter - Wut
Mit Hilfe der Box der Emotionen kann ich immer wieder total viel in und an mir entdecken. Ein Gefühl zu benennen, unterstützt mich auch in meiner Kommunikation in zwischenmenschlichen Beziehungen und stärkt mich in meiner Souveränität sowie in meiner Fähigkeit, mich sinnvoll abgrenzen zu können - trotz der Angst nicht geliebt oder gemocht zu werden. Und das mag meine Depression so gar nicht! Ich aber schon!