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Wilhelm Heim

Über das Gefühl gescheitert zu sein und ein schlechtes Gewissen zu haben


Letzte Woche entschied ich, mein 30-Tage-Gartengedichte-Projekt zu beenden und es als gescheitert zu erklären. Ich habe es nicht geschafft, mir jeden Tag für das Verfassen eines Kurzgedichts zu nehmen. Der Alltag und das tätige Tun hatten mich totalitär ergriffen. Bin ich - Wilhelm - nun gänzlich gescheitert? Muss deswegen jetzt alles scheiße sein? Meine alten Denkmuster wollen das so! Versuche ich diese Denkmuster zu durchbrechen, dann war es einfach eine unglaublich volle, stressige und tätige Woche - in der es auch Highlights (z.B. bin ich zum ersten Mal in meinem Leben selbst Trecker gefahren) gab. Aber die Stresswellen schlugen mir weiter gegen den Kopf und ich habe Angst, "alles" nicht schaffen zu können und die Stressflutwelle nicht aufhalten zu können. Meine bisherige Lösungsstrategie auf einen solchen Stress zu reagieren, bestand darin, das, was ansteht, so effizient wie möglich zu organisieren (möglichst ohne Pausen und Selbstfürsorgezeit einzuplanen). Ich dachte eben immer, dass ich alles schaffen muss, um ein guter Lehrer, Ehemann und Mensch zu sein.


Mit meiner Therapeutin habe ich allerdings eine neue zwar banale aber sehr entlastende Strategie entwickelt: Ich habe mir ein Buch/Heft angelegt, in dem es für jeden Tag folgende Kategorien gibt: Kopfliste (alles, was ungeordnet in meinem Kopf schwirrt), Realität (das was aus der Kopfliste realistisch und für den Tag schaffbar ist; inklusive der Selbstfürsorgezeit und Pausen) sowie eine Gefühlsecke (mich selbst in meinen Gefühlen wahrnehmen und das verbalisieren) sowie die Kategorie der Gedankensplitter (alles, was ich sonst noch so an Gedanken, Ideen im Kopf habe).

Nach meiner beschissenen Woche hatte das zur Folge, nicht nur einen Tages-, sondern einen Wochenplan zu erstellen, um einen Realitätscheck zu machen. Leider haben sich meine Psyche und meine Depression davon zunächst nicht beeindrucken lassen. Das Gefühl der Wertlosigkeit war sehr prägend. Ich fühle mich wertlos, weil ich mein Leben nicht auf die Reihe kriege.

Dazu kommt auch noch, dass ich keinen Zugang zu mir selbst bekomme und sich wieder eine Hoffnungslosigkeit zeigt. Da hilft auch nicht mein Geburtstag in dieser Woche. Ich denke, dass alle erwarten, dass ich mich freuen muss.

[CRASH] ... Was sind eigentlich die Skills, die ich in der Tagesklinik gelernt habe? Was kann ich jetzt aktiv tun? Barfuß über die Wiese laufen? Ein Gedicht schreiben? Fotografieren gehen? Mit einer Atemübung habe ich dann den Weg aus dem depressiven Momentum gestartet. Sieben Minuten 4-8-7!!! Diese kurze Zeit hat etwas Linderung verschafft, bedeutete ein kurzes Abschalten von meinen Selbstzweifeln. [ZWEI TAGE SPÄTER] Ich bin noch etwas wackelig, aber nach ein paar Gedichten und weiteren Atemübungen führt der Weg wieder nach oben. Ich bin also nicht gescheitert!


P.S.

Lieber Leser, das war ein recht ungefilterter Auszug aus einer depressiven Episode, in der die einfachsten Dinge und Tätigkeiten zum Problem werden können. Für Angehörige ist es schwer, diese Lethargie, das Selbstmitleid zu ertragen und kaum helfen zu können. Ein "Wird schon wieder!" hilft da leider nicht. Depressive Menschen sollten aus meiner Erfahrung heraus mit den kleinsten Dingen versuchen, aus so einer "Scheiße" herauszukommen.

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